l e b e n s w e i s e
Mittwoch, 14. November 2007
Fremde Hilfe II
feuerlibelle, Mi, 14. Nov. 2007, 23:34
* * * * Das Leben der Frau Spatz * * * *

Ort der Handlung: Das ehrenwerte Gelbe Ementalerhaus in Wien Süd. Ein buntes Narrenschiff mit 160 Fenstern und achtzig exaltierten Individualisten. Darunter befanden sich Regierungsräte, ein Hofrat, mehrere Schlosser und Installateure, drei Topmanager, drei Ärzte, eine Friseurin, mehrere Beamten, ein Steinmetz, drei Lehrer, zwei Juristen, zwei Bänker, ein Organist, zwei Schneiderinnen, ein Kullissenschieber, zwei Huren, einige Freiberufler und Möchtegernhausundgroßgrundbesitzer, drei Krankenschwestern, einige Witwen, meine Wenigkeit sowie ein Dutzend zurückgezogen lebenden Mitbewohner unter anderem auch Frau Spatz mit ihrem Sohn.

Das Zusammenleben unter einem Dach war, wie in anderen Wohnhäusern auch, von ständigen Streitereien geprägt. Trotzdem, es haben sich alle redlich bemüht, einander mit Respekt zu begegnen. Die Begegnung hat sich reduziert auf ein "Guten Morgen" im Aufzug respektive auf ein "Grüß Gott" auf der Straße. Der einzige Kommunikationsort war die Waschküche im Keller. Frau Spatz hat immer donnerstags vormittag gewaschen. Ihr Waschgut hat sie schon am Vorabend in einer stinkigen Seifenlauge eingeweicht, sodaß der Kellergang und der Stiegenaufgang von einem widerlichen Gestank befallen war. Sie hat ohne Waschpulver gewaschen, weil ihr das Geld dafür fehlte. Keiner mehr wollte hinter ihr waschen. Sie wurde mit Vorurteilen abgestempelt, in die Ecke gedrängt und kaum beachtet.

Frau Spatz ist bei den Hausbewohnern in Ungnade gefallen. Sie hat verzweifelt Kontakt gesucht, wurde aber stets abgewiesen. Leider. - Sie war weder schön noch attraktiv, und auch nicht sonderlich gepflegt, ihre Kleidung schmuddelig, ihr Gesamtaussehen eher verwahrlost. Es hat jeder einen großen Bogen um sie gemacht . Was aber keiner wußte; - Frau Spatz war hochintelligent und sehr belesen.

Herr Giftzwerg und Herr Wadlbeißer haben sich mächtig aufgeregt, weil Frau Spatz in der Kirche musizieren wollte. Die Herren haben ihr unmißverständlich nahegelegt , den Herrn Pfarrer nicht mehr zu belästigen. Herr Hofrat, der sich auch gern in jedes Gespräch einbringt, wohnt auf der selben Stiege wie Frau Spatz. Er macht sich große Sorgen. Worüber? ...

An einem Novembertag im Jahr 2001 begegne ich Frau Spatz auf der Straße und sie erzählt mir eine Stunde lang ihre traurige Lebensgeschichte. Ich habe ihr geduldig zugehört. Sie hat geweint, bitterlich geweint. Sie flehte mich um Hilfe an, einen Ausweg aus der Sackgasse zu finden. Da fiel mir der Herr Regierungsrat ein, der könnte doch durch seine Kontakte etwas unternehmen ...., könnte?
Nein, es ist unmöglich, dass ich die Geschichte von Frau Spatz dem Herrn Regierungsrat 1:1 wiedergebe. Er wird das nicht verstehen. Außerdem die Ungnade wurde nicht aufgehoben, da wird niemand etwas für sie tun. Also gut, wenn es so ist, nehme ich die Sache selbst in die Hand und ich werd schon die Leute dazu bewegen, dass sie mittun. Huch, ich hab mich schon wieder auf etwas eingelassen. Dann ist mir der Satz eingefallen: "Helfen ist keine Gnade. Gnade ist vielmehr helfen zu können."

Frau Spatz hat selbstlos einen Verein zur Förderung der musisch sozialen Projekte für geistig schwer behinderte Kinder und Erwachsene gegründet. Ihr gesamtes Privatvermögen hat sie für dieses Projekt aufgebraucht und nun ist sie auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Es ist nichts da, sie ist pleite. Da muss doch geholfen werden!
Jeder freiwillige Akteur im Haus hat eine Aufgabe bekommen, diese nach Checklisten abgearbeitet und es hat alles bestens funktioniert. Spendenaufruf im Haus, Termin für einen Adventflohmarkt, Kekse backen, Punsch kochen, Tischtennisraum und Kellerkatakomben zum Gemeinschaftsraum umgestalten und, und ......
Ja, und dann war es soweit:



An diesem Abend war Hilfsbereitschaft keine Frage des Könnens sondern eine Frage des Wollens und auch bei relativ niedriger Beteiligung haben wir eine beachtliche Summe **) von ATS 6.930,- (€ 503,-) zusammengebracht. Wir haben ein menschliches Zeichen gesetzt und diesen Abend Frau Spatz ihrem Verein gewidmet, für den auch ein Tropfen auf den heißen Stein Sinn macht. Es ist an der Zeit für ein betrachtendes Innehalten für die vielen bemitleidenswerten und von der Gesellschaft ins Abseits gedrängten schwerbehinderten Mitmenschen, die an FREMDE HILFE angewiesen sind.
**) in der damaligen Zeit, kurz vor der Euro-Umstellung, war das sehr viel Geld.

Frau Spatz wurde bei der vom Sozialminister initiierten Aktion "Österreichs freiwillige Helfer 2001" als Siegerin in ihrer Kategorie (musisch soziale Projekte) geehrt. Für ihren Verein bekam sie keine öffentliche Unterstützung. Von "Licht ins Dunkel" auch nicht! Also statt konkreter Hilferleistung nur viel Bewunderung, Lippenbekenntnisse und ein warmer Händedruck.

Ich bin aus dem ehrenwerten Gelben Ementalerhaus im Jahr 2003 ausgezogen. Doch Frau Spatz ruft mich noch immer dreimal im Jahr an und berichtet über ihre Aktivitäten. Sie weint mir nach, sagt sie. Als ihr am 20.September 2006 das Silberne Verdienstzeichen des Landes Wien überreicht wurde, und ich als Auserwählte offiziell vom Bürgermeister zum Festakt eingeladen war, konnt ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten.

Das ist meine wahre Geschichte zum besinnlichen Advent.

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