Wohnung zu vermieten
feuerlibelle, Mo, 14. Jan. 2008, 10:54
Europa 2004 Die Neuen lesen"
UNGARN -
Sándor Márai (geboren 1900 in Kassa/Kaschau -heute Slowakei, gestorben 1989 in den USA)
ICH GEHE an unserem Kaschauer Haus vorüber und sehe in einem Fenster des Parterres den handgeschriebenen Hinweis: "Wohnung zu vermieten". Der Hausmeister führt mich in den ersten Stock hinauf, hat alle Schlüssel dabei. Ja, sagt er, die Wohnung ist leer, sie soll vermietet werden, und öffnet die Tür zum großen Speisezimmer.
Als wir von hier weggingen, kam das Haus, in dem ich meine Kindheit verbracht habe, unter den Hammer; ein Rauchfangkehrer ist in die Wohnung eingezogen. Er selbst behilft sich mit den Gartenzimmern und möchte die hübschen, wohnlichen Räumlichkeiten jetzt vermieten. Wortlos sehe ich mich um. Dies hier war das Speisezimmer, der höher gelegener Teil, mit Säulen und Bögen, von da führte eine Stiege in den unteren, großen braunen Saal, wo der Fayenceofen stand. Von hier traf man ins dunkle Zimmer, in Vaters Schlafgemach, diese geheimnisvolle Grotte, so eine Art Häuptlingshöhle mit Büffelzeichnungen an den Wänden, dann das große Zimmer zur Straße mit den Mauerbögen, dem schönen Fußboden und den edel geschwungenen Nischen in der Wand für die Bibliothek. Das alles steht jetzt leer und wären zu vermieten. Ich schaue interessiert umher, Hut und Handschuhe in der Linken, richte ein paar sachbezogene Fragen an den Hausmeister.
Ich erwäge: "Ob ich denn wirklich noch einmal in dieser Wohnung leben möchte?" Und eine Stimme in mir antwortet, ruft schrill: "NEIN." Ich sinne noch: "War es gut hier, die Kindheit, und überhaupt alles; sehne ich mich hierher zurück?" Die Stimme erwidert in gebieterischem Ton: "NEIN." Und so stehen wir mitten in der Wohnung, starren auf die leeren Wände. Dann sehen wir uns auch noch die Küche an. Sie ist groß und leer, fordert einem Respekt ab, die Wände sind gekachelt, auf dem Herd wurde für Menschen einer anderen Welt gekocht. Auch das Dienstbotenzimmer ist geräumig, hell und herrschaftlich. Das Leben, das in diesen Mauern ablief, war für die Ansprüche einer anderen Art von Bürgertum, für eine andere Art Frieden bestimmt. Ich erfahre, dass der Rauchfangkehrer, der die Wohnung jetzt aufteilt, aus dem Kinderzimmer eine neue Küche für sich gemacht hat.
Ja, das alles ist vorbei, ist fremd. Und dennoch kann ich nicht einfach meiner Wege gehen. Ich stehe in diesem leeren Raum, ohne falsche Sentimentalität, mit der Wachsamkeit eines Forschers, und spüre dem Konstruktionsplan einer versunkenen Welt nach. Hier stand der große Schrank, hier das Klavier und hier das Sofa, weich und bequem saß der Gast in seinem Schoß, "wie im Schoß der Kaiserinmutter" - hieß es in unserem Familienslang. Und der Fleck dort überm Waschbecken in Vaters Schlafzimmer zeigt noch die Umrisse seines Spiegels, den er zum Rasieren benutzt hat. Dieser Fleck wühlt auf einmal alles auf, erschreckt mich - ich verstehe plötzlich das Ganze nicht, betrachte fast mit Schaudern diese Wände und Steine, die den Niedergang überdauert haben.
"Nein, ich möchte die Wohnung doch nicht nehmen" - sage ich dem Hausmeister. - "Sie ist mir etwas zu dunkel." Und ich eilte davon.
Übersetzung: Ernö Zeltner
Aus: "Himmel und Erde", Betrachtungen, Piper 2001
Diese Geschichte könnte auch die meine sein, nämlich die von der Schüttinsel. Auch ich sinne noch: sehne ich mich überhaupt hierher zurück? Meine innere Stimme sagt NEIN, meine Lieben sagen JA. Ich bin hin und her gerissen.
UNGARN -
Sándor Márai (geboren 1900 in Kassa/Kaschau -heute Slowakei, gestorben 1989 in den USA)
ICH GEHE an unserem Kaschauer Haus vorüber und sehe in einem Fenster des Parterres den handgeschriebenen Hinweis: "Wohnung zu vermieten". Der Hausmeister führt mich in den ersten Stock hinauf, hat alle Schlüssel dabei. Ja, sagt er, die Wohnung ist leer, sie soll vermietet werden, und öffnet die Tür zum großen Speisezimmer.
Als wir von hier weggingen, kam das Haus, in dem ich meine Kindheit verbracht habe, unter den Hammer; ein Rauchfangkehrer ist in die Wohnung eingezogen. Er selbst behilft sich mit den Gartenzimmern und möchte die hübschen, wohnlichen Räumlichkeiten jetzt vermieten. Wortlos sehe ich mich um. Dies hier war das Speisezimmer, der höher gelegener Teil, mit Säulen und Bögen, von da führte eine Stiege in den unteren, großen braunen Saal, wo der Fayenceofen stand. Von hier traf man ins dunkle Zimmer, in Vaters Schlafgemach, diese geheimnisvolle Grotte, so eine Art Häuptlingshöhle mit Büffelzeichnungen an den Wänden, dann das große Zimmer zur Straße mit den Mauerbögen, dem schönen Fußboden und den edel geschwungenen Nischen in der Wand für die Bibliothek. Das alles steht jetzt leer und wären zu vermieten. Ich schaue interessiert umher, Hut und Handschuhe in der Linken, richte ein paar sachbezogene Fragen an den Hausmeister.
Ich erwäge: "Ob ich denn wirklich noch einmal in dieser Wohnung leben möchte?" Und eine Stimme in mir antwortet, ruft schrill: "NEIN." Ich sinne noch: "War es gut hier, die Kindheit, und überhaupt alles; sehne ich mich hierher zurück?" Die Stimme erwidert in gebieterischem Ton: "NEIN." Und so stehen wir mitten in der Wohnung, starren auf die leeren Wände. Dann sehen wir uns auch noch die Küche an. Sie ist groß und leer, fordert einem Respekt ab, die Wände sind gekachelt, auf dem Herd wurde für Menschen einer anderen Welt gekocht. Auch das Dienstbotenzimmer ist geräumig, hell und herrschaftlich. Das Leben, das in diesen Mauern ablief, war für die Ansprüche einer anderen Art von Bürgertum, für eine andere Art Frieden bestimmt. Ich erfahre, dass der Rauchfangkehrer, der die Wohnung jetzt aufteilt, aus dem Kinderzimmer eine neue Küche für sich gemacht hat.
Ja, das alles ist vorbei, ist fremd. Und dennoch kann ich nicht einfach meiner Wege gehen. Ich stehe in diesem leeren Raum, ohne falsche Sentimentalität, mit der Wachsamkeit eines Forschers, und spüre dem Konstruktionsplan einer versunkenen Welt nach. Hier stand der große Schrank, hier das Klavier und hier das Sofa, weich und bequem saß der Gast in seinem Schoß, "wie im Schoß der Kaiserinmutter" - hieß es in unserem Familienslang. Und der Fleck dort überm Waschbecken in Vaters Schlafzimmer zeigt noch die Umrisse seines Spiegels, den er zum Rasieren benutzt hat. Dieser Fleck wühlt auf einmal alles auf, erschreckt mich - ich verstehe plötzlich das Ganze nicht, betrachte fast mit Schaudern diese Wände und Steine, die den Niedergang überdauert haben.
"Nein, ich möchte die Wohnung doch nicht nehmen" - sage ich dem Hausmeister. - "Sie ist mir etwas zu dunkel." Und ich eilte davon.
Übersetzung: Ernö Zeltner
Aus: "Himmel und Erde", Betrachtungen, Piper 2001
Diese Geschichte könnte auch die meine sein, nämlich die von der Schüttinsel. Auch ich sinne noch: sehne ich mich überhaupt hierher zurück? Meine innere Stimme sagt NEIN, meine Lieben sagen JA. Ich bin hin und her gerissen.
pille,
Mo, 14. Jan. 2008, 11:02
Nur wenn die Lieben auch die Verantwortung definitiv mittragen, dann dürfen sie auch berücksichtigt werden, meine ich.
feuerlibelle,
Mo, 14. Jan. 2008, 18:29
Ja, bei einer Entscheidung würde die verabredete Kollektiv-Verantwortung in Kraft treten. Wir sind aber noch nicht so weit; es gibt ein anderes Problem. Ein unaufhörliches Flattern der Gefühle. Zwischen da oder dort.
pille,
Di, 15. Jan. 2008, 11:00
Ich bin hin und her gerissen - wir sind aber noch nicht so weit ??? Ich - Wir ???
Wir sagen, was für mich gut ist! - Jetzt hab ich verstanden! ;-)
Wir sagen, was für mich gut ist! - Jetzt hab ich verstanden! ;-)
feuerlibelle,
Di, 15. Jan. 2008, 16:09
... oder ich sage, was für uns gut ist; beziehungsweise wir entscheiden gemeinsam, was für uns alle gut ist. Je nach dem, und einer muss der Leithammel sein. (mal ich/mal wir; so läuft es.)
Man sollte die Sätze nicht aus den Zusammenhängen herausreißen und dann nach Belieben zusammenschneiden, da kommt nichts g'scheites heraus, wie Sie ja gemerkt haben.
Man sollte die Sätze nicht aus den Zusammenhängen herausreißen und dann nach Belieben zusammenschneiden, da kommt nichts g'scheites heraus, wie Sie ja gemerkt haben.