l e b e n s w e i s e
Friedensnobelpreis für 500 Millionen Europäer
feuerlibelle, Mo, 10. Dez. 2012, 15:12
die europäische union hat heute in oslo den friedensnobelpreis erhalten. eu-ratspräsident herman van rampuy, kommissionspräsident jose manuel durao barroso und parlamentspräsident martin schulz nahmen die auszeichnung stellvertretend für mich und die restlichen millionen europäer entgegen.




endlich habe ich meinen friedensnobelpreis!

es kann sich keiner vorstellen wieviel zeit und geduld ich schon in das zwischenmenschliche friedensprojekt investiert habe. sobald ich ein winziges licht erblickte, das es noch gar nicht so richtig gab, fielen schon die bösen menschen über mich und löschten es wieder aus. ich war in vielen situationen am boden zerstört und verstand die welt nicht mehr. also nahm ich mir auszeit um über das gute und böse in menschen nachzudenken und bin zu der erkenntnis gelangt, dass es aussichtslos ist aus hinterlistigen taktierern, die einen ständig zum narren halten, gradlinige menschen machen zu wollen. enttäuscht und verbittert habe ich mein friedensprojekt zurückgelegt. umso mehr freut es mich jetzt, dass meine bemühungen doch nicht ganz umsonst waren.
d a n k e !

nachtrag 16:58h:
eigentlich sollten wir unsere visitenkarten aktualisieren.
[ist der gedanke wirklich so abwegig?]

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feuerlibelle, Mo, 10. Dez. 2012, 22:34
die kehrseite der medaille: aus den ärmsten ländern der union hagelt es viel kritik an der wohlstandsgemeinschaft und gerade jetzt in zeiten der krise fühlen sich insbesondere gut ausgebildete junge menschen verraten und stellen das angeblich von deutschland diktierte system komplett in frage. ein beispiel ist die slowakei, die erst durch die mitgliedschaft in der eu ein armes land geworden ist,- sagen die menschen dort. das nationale bewusstsein ist fester denn je. und es gibt tatsächlich einige fallbeispiele, die einem schweißperlen auf die stirn treiben....
jedenfalls von frieden kann dort keine rede sein.

das ist ein politisches vertuschungsmanöver und macht mich traurig.
wofür hätten wir den verdient?
wir verdienen sehr viel geld an rüstungsexporten.
wir sind immer mehr beteiligt "streit zu schlichten". naja.

(und zum schluss finde ich es merkwürdig dass alle sauer auf uns bösen deutschen sind, ich habe das gefühl unsereiner erarbeitet sich gerade burnout und sonstwas nur zum zweck einer altersarmut und schuldenberge bis in die dritte, vierte generation, da wir ja noch den rest von europa irgendwie retten müssen. ende am licht des tunnels? der entgegenkommende zug)

sie sollten sich nicht persönlich angesprochen fühlen, liebe marion. aber jetzt ehrlich: wie wollen sie der welt erklären, dass die mächtigste frau der welt (angela) keinen richtungsweisenden stempel der eu aufdrückt? die europäer sehen außer der deutschen kanzlerin keinen eu ratskommissär und andere macher vor dem weltrednerpult und das letzte wort hat meistens sie. möglicherweise behagt es dem deutschen volk auch nicht, aber so ist das leider...

ich gestehe: ich finde, sie macht es relativ gut. unsere geldwirtschaft ist zum schneeballsystem verkommen und jetzt zahlen die ersten die rechnung.
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siria, Di, 11. Dez. 2012, 00:21
Diesen Friedensnobelpreis sehe ich -wie Marion - sehr nüchtern: Allenfalls als Ansporn, dass das Projekt Europa nicht wanken darf in dieser bisher größten Wirtschaftskrise.
Natürlich können wir froh und dankbar sein, dass alte "Erbfeinde" wie Deutschland und Frankreich nun nicht mehr zu den Waffen greifen, um sich gegenseitig zu bekriegen.
Aber der Waffentransport in Krisenländer, die wirtschaftliche Ausbeutung armer Völker und die Abschottungspolitik gegenüber den damit produzierten Hungerflüchtlingen rechtfertigen in meinen Augen keinen Friedensnobelpreis. Die Abwesenheit von Krieg innerhalb der EU bedeutet noch lange nicht Frieden. Den sehe ich viel umfassender: Erst soziale Gerechtigkeit, Freiheit, Beachtung der Menschenwürde in allen EU-Staaten und in der gesamten Welt wären eines Preises würdig, wenn sich die EU dabei an die Spitze stellt - und nicht weiter nur auf den eigenen Vorteil geschaut wird. Das gilt auch für Deutschland.

ich hoffe nur, dass das kleine österreich sich seiner neutralität jeden tag aufs neue bewußt ist und weiterhin keine waffen in krisengebiete befördert.
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sturmfrau, Di, 11. Dez. 2012, 09:09
Auch wenn Frau Merkel große Nutznießerin der historischen Geschehnisse ist (was sie zu der macht, die sie ist), hat sie dennoch nicht sonderlich viel zu Frieden und Freiheit beigetragen - der rote Teppich war für sie schon ausgerollt. Als dann Barroso und Konsorten den Preis entgegen nahmen, saß sie mit Monsieur Hollande im Publikum und grinste in die Weltgeschichte, als sei dies ihr Verdienst. Mich juckte es bei dem Anblick in der Faust, aber da ich ja eine pazifistische Person bin, habe ich das mal ignoriert.

Im September war ich mit dem Gemahl in Brüssel, und wir haben unter anderem auch das Parlamentarium besucht, eine recht sehenswerte, frei zugängliche Ausstellung über die Geschichte der Europäischen Union. Was man dort sieht, berührt durchaus, und diese Gemeinschaft ist eine Leistung, die man nicht verkennen sollte. Romantisieren sollte man sie aber denn auch nicht, denn erstens fußt sie - was man nicht vergessen darf - in erster Linie auf einer wirtschaftlichen Vereinigung, die mit dem Frieden und seiner Sicherung nur am Rande etwas am Hut hatte. Zweitens muss sich diese Gemeinschaft, da schließe ich mich Ihnen allen an, an ihren aktuellen Haltungen und Taten messen lassen.

Das ist das Erbe der Geschichte, dem wir verpflichtet sind. Unsere gewählten Repräsentanten vergessen nur leider zu häufig, dass es nicht allein den händchenhaltenden Herren Kohl und Mitterand zuzurechnen ist, dass wir in dieser Staatengemeinschaft so lange friedlich zusammenleben. Auch eine Frau Merkel vergisst das gern. Darüber hinaus auch, dass europäische Ansprüche an Menschenrechte und Frieden weltweit gelten sollten und nicht an der Grenze von Saudi Arabien an den Mantelhaken gehängt gehören.

Ich wäre im Übrigen dafür gewesen, dass man per Losentscheid einen ganz normalen EU-Bürger hätte ermitteln sollen, der dann den Preis stellvertretend für alle hätte in Empfang nehmen sollen. Aber so lieb hat die Europäische Union ihre Bürger dann wohl doch nicht, als dass sie damit leben könnte, dass die wertvolle Auszeichnung im Wohnzimmer einer Mietwohnung am Stadtrand von Athen zu hängen käme...

.....Das ist das Erbe der Geschichte, dem wir verpflichtet sind.. [....]
dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen, liebe sturmfrau.

ich wurde in ein zerrüttertes europa hinein geboren und bin dank meiner eltern von kindesbeinen an als europäerin erzogen worden. von daher war ich, bin ich und bleibe ich auch eine überzeugte europäerin – auch dann, wenn ich so manchen entscheidungen skeptisch gegenüber stehe. denn, kritik zu üben bedeutet noch lange nicht, dass man grundsätzlich ablehnend sein muss. ich stehe gerne auf der seite der schwächeren, die sich es nicht richten können...

überzeugte europäerin - das bin ich auch, liebe Feuerlibelle. Brüssel ist mir in dieser Hinsicht sehr nahe gegangen. Ich bin zwar ein Siebziger-Jahre-Wohlstandskind, aber das Erbe des Krieges hat sich auch in meine Biografie hineingegraben, selbst wenn man das von außen nicht ohne weiteres sieht.

Man kann sich über Normen für Gemüsegurken aufregen, und durchaus auch nicht zu Unrecht. Aber dass wir als Europäer heute gehen können, wohin wir wollen, dass wir an einen Punkt gelangt sind, an dem wir miteinander reden und streiten, anstatt Bomben und Giftgas sprechen zu lassen und an dem Gras über Bunker wächst und wir über entwendete Fahrräder lachen können, das ist eine Errungenschaft, die nicht in Vergessenheit geraten darf. Es wurde zu viel zerschlagen, um das für selbstverständlich zu halten.

Genau das betrachte ich denn auch als Verpflichtung, sich immer wieder neu zu fragen, ob und wie man zu Grund- und Menschenrechten steht. Die Damen und Herren Staatsoberhäupter sollten sich dieser Verpflichtung bewusst sein, große Gesten allein machen da noch keine Helden (geschweige denn Friedensnobelpreisträger).

mal rein hypothetisch gedacht: hätte nur die hälfte der eu-bürger diese (sturmflut) denkweise, wären manche probleme womöglich erst gar nicht aufgetreten...

das heiße eisen "grund- und menschenrechte" ist so eine sache - wir erleben es doch laufend, wie zaghaft -wenn überhaupt- das thema angesprochen wird (z.b. china, russland), das in den meisten fällen zugunsten von wirtschaftsbeziehungen zurückgestellt werden muss.
ein sehr trauriges kapitel...

grund und menschenrechte:

vorgestern ist in der nachbarstadt ein 38jähriger obdachloser direkt vor der obdachlosenunterkunft erfroren.

hartz4 kinder und ihr grund und menschenrecht auf essen, liebevolle zuwendung, erziehung, bildung, gewaltfreiheit, soziale beziehungen statt ausgrenzung. weihnachtsgeschenke ?

hilflose menschen in überforderten pflegeeinrichtungen bzw die unlust der kassen (gesellschaft), das notwendigste zu bezahlen.

vor der eigenen tür finde ich immer ausreichend dreck

Sie beide haben Recht. Wenn man über Menschenrechte spricht, dann muss man die Haftbedingungen in französischen Gefängnissen genau so in den Blick nehmen wie die nicht vorhandenen Rechte der Frauen in Saudi Arabien und die fürchterlichen Lebensumstände der Obdachlosen in deutschen Städten ebenso wie das (ebenfalls oft längst nicht sichergestellte) Recht der Kinder auf eine gewaltfreie, liebevolle Erziehung. Hier hat es wieder geschneit über Nacht, und ich frage mich, wie die zwei Obdachlosen wohl zurechtkommen, die unsere Stadt (offenkundig) hat, und deren Gesichter hier eigentlich jeder kennt. Sie, liebe Feuerlibelle, wiesen ja auch schon einmal auf dieses Wiener Projekt hin - wie nannte es sich gleich, "Die Gruft"?

Das Problem ist nicht allein, dass man angesichts all der Euphorie, doch ach so fortschrittlich und freiheitlich zu sein, die dunklen Ecken unserer Gesellschaft übersieht. Das wäre noch fahrlässig zu nennen und beinahe (aber nur beinahe) entschuldbar. Darüber hinaus setzt sich so eine "Selbst schuld!"-Mentalität durch. Wer krank wird, ist selbst schuld, denn er hätte ja mehr trainieren/gesünder essen/bewusster leben/mehr auf sich achten können. Wer arm ist, hätte ja bloß einfach auf seinen Umgang mit Geld achten müssen. Wer keine Arbeit hat, hat sich nur nicht genügend angestrengt. Wer unglücklich ist, versäumt es bloß, die Welt positiv zu sehen. Wessen Kind später ein "Versager" ist, trinkt, Drogen nimmt, wurde einfach nur nicht genug frühgefördert. Jeder ist seines Glückes Schmied, das anzustrebende Glück heißt Wohlstand, und zwar immer mehr, und wer das nicht packt, der passt halt nicht zu uns.

Diese Entwicklung macht mir richtig Angst. Erstens, weil sie immer zu Lasten anderer geht und viele der Probleme, die Sie, Marion, ansprechen, erst überhaupt verursacht - es gibt keine Gewinner ohne Verlierer, auf deren Rücken das ausgetragen werden kann. Zweitens, weil sie den Menschen an sich, das, was er zum Leben braucht und was er eigentlich im Kern ist, zutiefst verachtet und verdinglicht. Wie falsch das alles eigentlich ist, fühlen wir irgendwie, "kurieren" dieses Gefühl aber dann schnell mit ein paar Pillen. Unsere politischen Repräsentanten lächeln derweil in die Kamera und erzählen vom wirtschaftlichen Aufschwung und beschönigen Armutsberichte und Statistiken über Arbeitsverhältnisse.
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