l e b e n s w e i s e
Serviceheft für Innereien
feuerlibelle, Sa, 7. Mär. 2009, 23:22
interessant ist, wie der mensch bei außergewöhnlichen nebengeräuschen bei seinem auto, motorrad, laptop, pc oder plattenspieler sensibel und besorgt reagiert und wie er sich in windes eile um behebungsmaßnahmen bemüht. es kann gar nicht schnell genug gehen, die vermeintlichen pannen reparieren zu lassen.

noch interessanter ist, wie der mensch bei außergewöhnlichen nebengeräuschen in seinem körper, genauer in seinen nur erschwert einsehbaren innereien, leichtsinnig bescheuert reagiert und wie er die wahrgenommenen signale bewusst verdrängt. immer wieder, monat für monat, jahr für jahr.
und am interessantesten ist die individuelle ursachenforschung sowie die darauf folgende eigendiagnose; "...das wird schon nichts ernstes sein, irgendwas hab ich sicher nicht vertragen, vielleicht hab ich zuviel kaffee getrunken oder der stress der letzten monate schlägt sich wieder auf den darm, ich sollte vielleicht wieder regelmäßig und bewusster essen, mehr bewegung in der frischen luft würde auch nicht schaden, ich werde mir mehr schlaf gönnen und versuchen vor mitternacht ins bett zu gehen..."

fühlen sie sich etwa auch ertappt, wenn sie jetzt diese zeilen lesen?

mit achtzehn hatte ich die erste schwere gastritis [studium, tod der omi, freitod meiner freundin, fremde heimat, politische unterdrückung und, und, und.....]
einige jahre später folgte das verdauungsdilemma mit krämpfen, koliken, laufenden durchfällen oder extremen verstopfungen. nach eingehender ursachenforschung alles begründet. [...gescheiterte ehe, sorgen, kleinkind, alleinerziehung, beruf, karriere, psychischer druck...] außerdem es ist allgemein bekannt, dass sich alles schlechte auf die gedärme schlägt. nach anfänglichem gejammer hab ich die zustände irgendwann adoptiert. wenn dann eher zufällig bei einem arztbesuch die frage gestellt wurde: "und seit wann haben sie die schmerzen und die ganzen begleitumstände?" – antwortete ich: "meine güte, das hab ich schon seit eh und je"
und was haben sie dagegen unternommen?
nichts. was hätte ich schon tun sollen, wer geht noch heutzutage wegen ein bißchen bauchschmerzen, einem durchfall oder verstopfung zum arzt? und sind wir uns doch ehrlich, das lästige zwicken mal links mal rechts, das hat heutzutage auch wirklich schon jeder. man braucht sich nur ein wenig umhören, das ist eine gewöhnliche volkskrankheit geworden.

vor sechs jahren, also im jahre 2003, hab ich plötzlich viel gewicht verloren, konnte kaum nahrung aufnehmen und in meinem besorgten freundeskreis wurden schon die grabreden vorbereitet. das ist jetzt ohne übertreibung, ich sah sehr schlecht, todkrank aus. die fotos von damals würde ich am liebsten vernichten, weil sie mir angst machen, auch heute noch. als ich dann auch konditionell abgebaut hab und mir jede sportliche betätigung zur qual wurde, hab ich meinen alten freund, den medizinalrat bahij k. aufgesucht und ihm mein herz ausgeschüttet. [...unvergessliche momente in meinem leben...]
der gute bahij k. hat sehr aufmerksam zugehört, ohne mich nur einmal zu unterbrechen. dann versank er wortlos in seinem chefsessel, presste seine handflächen gegeneinander und starrte beim fenster hinaus. stille im raum. dann greift der weise mann zum telefonhörer, wählt eine xy-nummer und verlangt herrn primarius dr.günther m. wieder stille. nach einer weile: "grüße dich mein freund, du musst mir helfen, ich schicke jetzt meine patientin zu dir und bitte nimm dich ihrer an. ich komm dann am abend bei dir vorbei und erkundige mich. danke mein freund".
[dieser freund sei angeblich eine internationale koryphäe auf dem gebiet der gastroenterologie und hepatologie]

er hat sich tatsächlich meiner angenommen und dafür bin ich heute noch meinem medizinalrat unendlich dankbar. im jahre 2004 wurde ich zum ersten mal operiert, damals hatte ich gott sei dank nur ein geschwür. die schäden der letzten leichtsinnigen zwanzig jahre wird man nicht mehr ganz reparieren können, dafür aber bietet sich die chance, neue selbstzerstörerische handlungen zu unterbinden.

nach der letzten kontrolluntersuchung im herbst 08 stand zweifelsfrei fest, dass eine weitere op ansteht. demnächst. je früher umso besser, aber wer geht schon gern freiwillig auf die schlachtbank? ich angsthase und feigling erster klasse sicher nicht. im jänner hab ich keine zeit, im februar hab ich schon viele termine, also im märz. aber endgültig. krankenhaus, wahlarzt und termin reserviert.

wenn ich so überlege, dass innerhalb von fünf jahren wieder vier weitere geschwüre in meinem dickdarm sich es gemütlich gemacht haben, dann wird mir schon langsam bange. vor allem auch deshalb, weil inzwischen ausdrücke wie "unruhige zellen" auch für viel unruhe in meiner seele sorgen.

daher meine empfehlung an alle (jung und alt): bitte nehmen sie ihre bauchschmerzen, gelegentlichen durchfälle und/oder verstopfungen ernst und lassen sie sich eine koloskopie (darmspiegelung) machen. rechtzeitig ein serviceheft für ihre innereien erhöht die lebensqualität und erspart ihnen womöglich spätere unruhige zellen.

übrigens: ich bin ok, mein humor hat mich nicht verlassen :-)

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kelef, So, 8. Mär. 2009, 12:21
so weit, so gut. schön, dass das so verhältnismässig glimpflich ausging.

manchmal sollten sie also doch das "jeder ist sich selbst der nächste" in die tat umsetzen. einfach aus selbsterhaltungstrieb.

Tatsächlich begehen manche aus Angst vor dem Tod Selbstmord...
Vorsorge ist einfach wichtig. Und gleichzeitig die gelassene Gewissheit, dass unser Leben nicht unbegrenzt ist, dass es aber schade wäre, es noch unnötig zu verkürzen. - Meinem Mann hat die Vorsorge das Leben gerettet. Seither versucht er jeden Bekannten zu überzeugen, auch zur Vorsorge zu gehen.

ja, in solchen situationen ist die frage nach dem sinn des lebens ganz oben in der werteskala. auch ich versuche auf die gefahren hinzuweisen und vorsorgeuntersuchung schmackhaft zu machen. hoffentlich hilft's was...

@frau kelef: seit jahren probe ich schon das hochseilkunststück "jeder ist sich selbst der nächste", bisher leider ohne erfolg. glauben sie mir verehrteste, es ist verdammt schwer aus einem fest verankerten system mit kind/kind und mann auszuscheren und auf eine wellness -egowelle zu hüpfen. bin erb- und gentechnisch schwer verbandslastig und das wird wahrscheinlich auch so bleiben, .... schicksal [pluspunkte für das himmlische...]

vielen dank für ihre anteilnahme..
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siria, So, 8. Mär. 2009, 16:48
Gut, dass Sie alles überstanden und Ihren guten Mut nicht verloren haben!

Die Eingriffe sind ja heute auch nicht mehr so unangenehm. Meine Mutter hatte mehrfach Darmpolypen ( Vorstufe zum Krebs ), da diese erblich sein können, habe ich auch alle zehn Jahre die Spiegelung über mich ergehen lassen. Früher war es wenig angenehm, aber beim letzten Mal habe ich gar nichts mitbekommen, dank einer leichten "Leck-mich"-Spritze. Und die Erleichterung, wenn nichts gefunden wird, ist nicht zu verachten!

manchmal hab ich das gefühl, ich hätte eine russische seele: einmal hochjauchzend in jubelstimmung und im nächsten augenblick tiefbetrübt melancholisch, oder aber weinend und lachend zugleich....[=blöd].
in wahrheit ist es die große angst, die angst vor der angst. sonst nichts.
wäre ich nur nicht so feig.
bei mir sind die kameraführungen durch die dicken kanäle alle zwei jahre auf dem programm.
vielen dank für ihre herzliche aufmunterung, liebe siria.
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dergeschichtenerzaehler, So, 8. Mär. 2009, 20:15
Humor ist der Regenschirm der Weisen.

Ihr Text hat mich sehr zum Nachdenken angeregt und ich werde mir ihren Rat zu Herzen nehmen. Ernsthaft und heute mal ausnahmsweise ohne Humor...

sehr vernünftig, herr geschichtenerzähler!
meines erachtens ist so ein kurzes innehalten und ein in-die-eigene-tiefe-hineinhorchen eine äußerst hilfreiche orientierungstafel in richtung persönliche standortbestimmung...
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pandora77, So, 8. Mär. 2009, 21:38
Uff...einfach erleichtert, dass es Ihnen gut geht. Geht doch nix über Gesundheit.

sie sind ein äußerst gefühlvoller mensch, liebe pandora und insbesondere dann, wenn's ganz eng wird um die seele, streicheln sie mit ihren gewichtigen aber unspektakulären worten. dankeschön und *lieb drück*
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frauaehrenwort, Mo, 9. Mär. 2009, 14:21
Ach liebe feuerlibelle, ich habe mir schon die ganze Zeit Sorgen gemacht. Ja das ist keine schöne Sache und Sie haben recht. man sollte regelmäßig in sich hineinhören und bei Beschwerden den Arzt aufsuchen. Nur mein Arzt ist, entschuldigen Sie den Ausdruck, eine faule Sau. Der meinte die ganzen Bauchschmerzen und Durchfälle kämen vom Stress. Aber das fast drei Jahre lang???? Bis ich ja vor kurzem die Darmspiegelung gemacht habe, weil es mir langsam Angst und Bange wurde. Gut, da wurde jetzt zum Glück nichts gefunden, aber man hat weiter gesucht und Schlussendlich die Glutenunverträglichkeit festgestellt. 100%ig ist das ja nicht untersucht worden, da ich in meinem Zustand keine Dünndarmbiopsie über den Magen machen lassen kann und auch nicht werde, aber ich bin im Moment bei einem Heilpraktiker/Homöopathen in Behandlung da ich keine Medikamente bekommen darf. Bis jetzt hat sich noch keine Besserung eingestellt, aber wir haben Hoffnung. Mein Vater hatte übrigens auch über Jahre Geschwüre im Darm. Zwei Mal wurden die Entfernt und auf einmal ist Ruhe. Seit mehreren Jahren ist die Darmspiegelung ohne Befund. Sie sehen, es kann auch besser werden. Ich drücke Sie ganz doll und bin sowas von froh, dass Sie wieder einigermaßen fit sind und schon gar nicht Ihren Humor verloren haben.

Es grüßt Sie ganz herzlich Ihre Frau Ährenwort.

:-)) ein ganz dickes bussi, meine liebe! *lieb drück*
und jetzt müssen wir sie noch alle miteinander während ihrer schwangerschaft behutsam unterstützen, beschützen, aufmuntern und wenn das schmuckelige putzerl geschlüpft ist, dann ist wieder alles in bester ordnung in unserem blo-dorf.

Da hamse recht. Das Würmchen wächst und gedeiht und mir geht es auch schon besser. Die Übelkeit ist jetzt nicht mehr vorherrschend. Das tut richtig gut.
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